Wiedersehensfreuden

Ich kann nicht von unsem Wiedersehen mit La Palma und unserer Aplysia schreiben, ohne vorher noch ein paar Worte über die Fährüberfahrt von Teneriffa hierher zu verlieren. 

Am 3. Dezember erklang morgens um 5.15 Uhr ein ungewöhnliches Geräusch in unserem Womo: der Wecker. 

Wir verließen den schönen, aber windigen Zeltplatz am "Montaña Roja" bei völliger Dunkelheit. Der diensthabende Sicherheitsmann öffnete uns die beiden Schranken und das Gittertor. Freiheit!  

Und los ging es! Auf bereits lebhaft gefüllten Straßen fuhren wir in Richtung Los Christianos und dem dortigen Fährhafen. 

Das Einchecken verlief erneut problemlos. Dieses Mal wollte man nicht einmal unsere Reisepässe einsehen. 

Pünktlich verließ die gut gefüllte Katamaranfähre den Hafen. Die Sonne ging über Teneriffa auf und nach und nach wurde die Insel immer kleiner. Einen letzten Blick auf den schneebedeckten Gipfel des Teide gab es allerdings nicht für uns.

Die Seefahrt begann sehr entspannt mit leckerem "Cafe con leche" und einem Schinkenbrot. Wir machten es uns im Bug des Schiffes bequem und erfreuten uns an der Aussicht auf einen herrlichen Regenbogen zu unserer Linken und den letzten Eindrücken von Teneriffa zu unseren Rechten. 

Als die Stewardess uns Kotztüten in die Hände drückte, lächelten wir sie noch etwas überheblich an. Für uns erfahrene Seeleute doch nicht! Wir stecken das bisschen Schaukeln und laute Aufs-Wasser-Knallen der Fähre doch locker weg! Dachte ich...... bis wir die Inselabdeckung von Teneriffa verließen und der offene Ozean unser Schiff in die Mangel nahm. Mein Magen zeigte Reaktion und so überlegte ich mir folgende Strategie: 

1. Auf meinem Sitz in Schockstarre verfallen und möglichst nicht mehr bewegen.

2. Mit weit aufgerissenen Augen den Horizont suchen.

3. Energisch und pausenlos auf zwei Kaugummis herumkauen.

4. Tief und gleichmäßig ein- und ausatmen.

Meine Methode wirkte exakt 2 Stunden lang und brachte mich erfolgreich bis zur Hafeneinfahrt von Santa Cruz de La Palma, wo das Getose schlagartig ein Ende hatte und mir endlich einen Klogang erlaubte. Halleluja! 

Liebe Angela, wenn du das hier liest, dann glaube mir, dass ich bei dieser Überfahrt an dich denken musste und spätestens jetzt komplett nachvollziehen konnte, wie es für dich damals auf unserer Aplysia gewesen sein musste, als du jegliche Bewegung verweigert hattest. 

Erst einmal in meinem Leben, damals als Teenager auf einem großen Segelschiff auf dem Balaton, musste ich in ähnlicher Weise so fürchterlich leiden. 

Das Fährpersonal hat sich übrigens rührend um alle Passagiere gekümmert. Alle 5 Minuten kamen sie zu uns und fragten: "¿Todo bien?"(dt.: "Alles gut?") Überhaupt war die Fähre der spanischen "Armas"-Flotte, wenn auch nicht mehr taufrisch, so doch sehr sauber und prima geräumig. Wir hatten den gesamten Bugbereich ganz für uns alleine und mussten so auch nicht mit ansehen, wie andere Reiseteilnehmer ihre Spucktüten gut füllten. Beim Gedanken daran wird mir sogar jetzt noch ganz komisch! Also, Themenwechsel!

La Palma empfing uns mit unterkühlten Freudentränen und einer grandiosen grünen Üppigkeit an Pflanzen. Vom Vulkangeschehen bekamen wir auf der Ostseite der Insel noch nichts mit. Der viele Regen der letzten Tage hatte allerdings für Erdrutsche entlang der Straße gesorgt. 

Dann fuhren wir durch den Tunnel, der die Ostseite mit der Westseite der Insel verbindet. Normalerweise wurden wir am Ende des Tunnels immer von der Sonne geküsst. Heute gab es jedoch keinen warmen Begrüßungsschmatzer. Angestaute Asche an den Straßenrändern und vereinzelte Straßensperrungen verdeutlichten uns, dass wir dem Vulkangeschehen immer näher kamen. Und dann gab es doch noch ein Begrüßungsgeschenk für uns: einen wunderschönen Regenbogen in der "Caldera de Taburiente". Danke!

Nach der Freude kam dann rasch das Entsetzen: Zwischen El Paso und Los Llanos konnten wir einen ersten Blick auf die breiten schwarzen Lavaströme weiter südlich erhaschen. Sprachlos und nicht ganz verstehend, welche schwarze Hölle sich da gerade vor unseren Augen aufgetan hat, erreichten wir den Hafen von Tazacorte. Vieles haben wir auf unserer Fahrt über die Insel erfreut wiedererkannt. Leider werden wir hier zukünftig sehr viel auch nicht mehr wiederfinden! 

Ein richtig herzliches Willkommen wartete auf uns im Büro der Marina. Janet und Elsa haben uns auch nach fast zwei Jahren nicht vergessen. Und wäre nicht Coronazeit, eine Umarmung hätten wir uns nicht nehmen lassen.

Dann gab es Tränen der Wiedersehensfreude mit unserer Aplysia. So lange haben wir uns diesen Moment herbeigewünscht. Nun ist er für alle Beteiligten bittersüß, denn unser stolzes Segelschiff lächelte uns vereinsamt und sehr verschmutzt entgegen. Jeweils mit Kehrblech und Besen bewaffnet, sagten wir der fiesen vulkanischen Sandasche an Bord den ersten Kampf an. Holger kämpfte im Außen- und ich im Innenbereich. Vor allem Küche und Deckshaus blieben aufgrund  unverschlossener Belüftungen nicht verschont von Ascheeinbrüchen. Bis zum Abend bekamen wir alles soweit in den Griff, dass wir unsere erste Nacht auf Aplysia verbringen konnten. Mit dem unschönen Gefühl, Asche in den Augen zu haben, träumte ich, dass wir ungebremst in glühende Lava hineinsegeln. Kein schönes Erwachen! Die ersten Eindrücke vom "Schmutzigen Olaf" waren wohl etwas zu viel für mein Nervenkostüm.

Vom Hafen aus können wir einige Geschehnisse am Vulkan ganz gut beobachten. Bisher haben wir seine Aktivitäten bereits sehen, hören und fühlen können. Was wir auf Aplysia nicht gespürt haben, waren die Erdbeben. Außerdem sollen Olaf ab und an faule Eierpupse entweichen. Gott sei dank, die haben wir bisher auch nicht riechen müssen. In den vergangenen Tagen ist der Kerl scheinbar ruhiger geworden, pafft nur hin und wieder kleinere und größere Rauchwolken, dank der günstigen Windrichtung, auf den Ozean hinaus. Die Berichte der Vulkanologen deuten auch darauf hin, dass sie Olaf nur noch wenig Aktivität zutrauen. Die ersten vor ca. zwei Monaten evakuierten Einheimischen durften gestern in ihre Häuser zurück. Ebenfalls ein positives Signal! Allerdings zu 100% ist sich hier niemand sicher. Schaue ich momentan in Richtung Vulkan, kommt es mir so vor, als ob er heute wieder nur ein paar kraftlose Rauchwölkchen absetzt. Hoffentlich bleibt das so! 

Unsere Marina hat sich auf jeden Fall mächtig geleert. Die Segler, die vor Ort waren und es konnten, haben in den vergangenen Wochen die Flucht übers Wasser auf andere Inseln ergriffen. Wir und unsere österreichischen Stegnachbarn sind die einzigen Bootsbewohner momentan. Die wollen uns aber eventuell auch noch verlassen. Es gibt so gut wie keine ankommenden Segelboote.

Die Fischer am Steg gegenüber fahren nicht raus. Die Käfige der Fischfarm liegen leer im Hafenbecken. Dafür herrscht reger Betrieb durch drei Armeeboote, die Bananenbauern auf dem Seeweg zu ihren eingeschlossenen Plantagen im Südwesten der Insel bringen. Außerdem haben ein Schiff der Guardia Civil, ein großes und ein kleines Seenotrettungsschiff( Wofür die in der momentanen Situation auch immer zuständig sein sollen???) und ein Wasserschiff zum Bananenbewässern angelegt. Dadurch ist hier reichlich Bewegung im Hafenbecken. Anstatt Wale zu beobachten und Angler zu den Fischgründen zu transportieren, haben sich ein paar Geschäftstüchtige darauf verlegt, abendliche Lavabootstouren anzubieten. Außerdem parken regelmäßig über den Tag verteilt Reisebusse auf dem Hafengelände und entlassen ihre neugierige Schar für einen kurzen Blick auf den Stinker und ein schnelles Foto vom Selbigen.  Gestern Abend haben wir das Womo unseren Hausberg hochgescheucht, um ebenfalls die Lavaströme mal von oben anzuschauen. Es hat uns wirklich beeindruckt, wie sich die rot glühende Masse in mehreren Flüssen in Richtung Meer schiebt, um dort, in Dampfwolken gehüllt, zu erstarren. Wir waren aber auch wieder einmal in traurigen Gedanken bei unseren Bekannten, die an die unerbittliche Lava ihre Häuser verloren haben. Wie wird es wohl für die zahlreichen Palmeros weitergehen, die nicht nur ihr Haus, sondern auch ihren Arbeitsplatz unter den Gesteinsmassen begraben sehen? 

Wir sind dankbar dafür, solche Verluste noch nie erfahren zu haben. Unsere Aplysia liegt schaukelnd im Hafen und verlangt "nur" nach täglichem Abspritzen mit dem Wasserschlauch und der einen oder anderen Reparatur. Nach fast zwei Jahren Vernachlässigung war uns das aber auch völlig klar! 

27 Grad, blauer Himmel und Sonnenschein vermitteln uns zudem ein Lebensgefühl, welches Schimpfen und Verzagen keinen Raum lässt. 

Bleibt gesund und macht das Beste draus!