Stillstand

Unser Leben im Dezember 2021 wurde hauptsächlich vom Vulkan Cabeza, alias „Schmutziger Olaf“, bestimmt. Wir waren mit der Frage beschäftigt: Bleiben wir oder reisen wir wieder ab? Die Umstände unseres Aufenthaltes auf La Palma waren einfach zu unangenehm. Das Putzen unserer Aplysia machte aufgrund des permanenten Schmutznachschubes irgendwie wenig Sinn. Die Bewegung im Freien und das damit verbundene Einatmen der Staubpartikel fühlten sich äußerst ungesund an. Das Öffnen der Fenster führte zu Sand im Bett, auf den Tischen, einfach überall im Schiff. Wir spürten Olafs Ascheergüsse auf dem Kopf, im Mund und in der Lunge. Mitte Dezember konnten wir seine SO2-Pupse erstmals deutlich auch hier bei uns im Hafen riechen. Eine Ausgangssperre für mehrere Stunden war die Folge. Jeder Morgen begann mit einer Dusche für Aplysia, um sie von den dreckigen Hinterlassenschaften der Nacht zu befreien.

Olaf beruhigte sich kurz vor Weihnachten und wurde am 25. Dezember für erloschen erklärt. Was für uns das Ende eines Naturschauspiels mit unangenehmen Nebenwirkungen darstellte, war für viele Bewohner La Palmas erst der Anfang der direkten Auseinandersetzung mit den vulkanischen Hinterlassenschaften. Zahlreiche Evakuierte warteten von nun an auf die Rückkehr in ihre im besten Falle nur leicht verschmutzten Häuser. Für viele wird es aber auch niemals eine Rückkehr geben, da die Lava für alle Zeit ihre Habseligkeiten unter sich versteckt halten wird. Jeder hier kennt wohl mitlerweile jemanden auf dieser Insel, den dieses Schicksal ereilt hat. 

Der Vulkan stand also mehr oder weniger still, aber neue Unannehmlichkeiten hatten uns bereits erreicht. Aufgrund der enormen Zunahme der Omikron-Fälle im ganzen Land beschloss die spanische Regierung am 23. Dezember die Maskenpflicht im Freien. Nur, wer sportlichen Aktivitäten nachging, durfte draußen noch auf sie verzichten.

Bereits in Deutschland hatten wir unsere ersten beiden Corona-Impfungen erhalten. Wir planten, uns hier vor Ort boostern zu lassen. Mit einer Aufenthaltsbestätigung der Marina und unseren Ausweisen im Rucksack machten wir uns also am 30. Dezember ins nächste „Centro de Salud“(= Gesundheitszentrum) auf den Weg. Nach zwei Mal „JA!“ wurden wir aber letztendlich mit einem „NEIN, ihr habt nicht die richtige Nummer!“ von dort wieder weggeschickt. Um welche Zaubernummer es sich dabei handelte, erfuhren wir erst nach und nach: Mit der sogenannten „NIE“-Nummer können Ausländer sich hier polizeilich registrieren lassen. Der mühsame Erhalt einer solchen Registrierung erscheint uns allerdings nicht erstrebenswert und auch nicht zwingend notwendig.

Immer häufiger erreichten uns von nun an Nachrichten über die unterschiedlichsten Krankheitsverläufe mit der neuen Virusvariante. Von keinerlei Symptomen bis hin zu grippeähnlichen Beschwerden war da die Rede. Daher sehen wir das Drittimpfen momentan gelassener. Wenn man uns als Ausländern hier irgendwann komplikationslos die Möglichkeit zum Boostern bietet, stehen wir auf jeden Fall mit in der Reihe. Bis dahin: Stillstand des Planes!

Aplysia war nach über 1,5 Jahren Vernachlässigung nicht nur saudreckig (Grunz,grunz!), sie zeigte auch an anderen Stellen Spuren der Vernachlässigung. Die Böden unserer beiden Gasflaschen waren aufgrund des Vulkanasche-Wasser-Gemisches in den Flaschenkästen stark weggegammelt. Zwei neue deutsche Alugasflaschen mussten per Bestellung auf die Insel. Wie so oft, gar nicht so einfach! Außerdem entwickelten zwei unserer Batterien urplötzlich Säuregase und mussten ausgetauscht werden. Das gelang uns, Gott sei es gedankt, mit entsprechendem Ersatz vor Ort. 

Dann, kurz vor Weihnachten, war auf unserer hinteren Toilette kein Geschäft mehr zu tätigen. Stillstand! Holger baute aus und reinigte, bohrte mit der Spindel in den Rohren herum, nahm Kloschüssel und Rohre auseinander, klopfte mit dem Hammer auf denselbigen herum, bis ihm der schmutzige Durchbruch letztendlich gelang, ich aber Weihnachten in diesem Jahr für abgesagt erklärte! Die Baustelle Schiff sah innen einfach nicht mehr feierlich aus. Wir haben dann aber pünktlich bis zur Bescherung das Schlimmste bereinigen können und die bescheidene Weihnachtsdeko wieder hervorgekramt. Ganz viele Anrufe und andere Benachrichtigungen erreichten uns zu Weihnachten und zu meinem Geburtstag und machten die Tage letztendlich richtig schön. Nochmals danke dafür! 

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle von unserem Weihnachtseinkauf am 23. Dezember erzählen, denn auch hierbei wurden wir zu einem kurzzeitigen Stillstand gezwungen. Unser Wohnmobil ist ja mit uns auf La Palma und dient unter anderem zur Beschaffung von Lebensmitteln. So auch an diesem Tag. Auf unserem Weg zum Supermarkt wurden wir plötzlich von einem Polizeiauto der Guardia Civil überholt und rechts an den Straßenrand gewunken. Einer der beiden Beamten in schwarzer Uniform stieg aus und erklärte, dass uns am Heck ein rot-weiß gestreiftes Schild als Kennzeichnung unseres Fahrradständers fehlen würde. Als er Holger zum Aussteigen aufforderte und dieser sich aus seiner Gurtverwicklung mit Wäscheklammerhalterung befreite, klappte dem Beamten vor Staunen die Kinnlade herunter. So könne man vielleicht in Deutschland Auto fahren, aber nicht auf seiner Insel! Der Preis für unsere Vergehen: 280,00 Euro. Wenn wir gleich bezahlen würden, dann wären es nur 100,00 Euro und eine Verwarnung wegen des fehlenden Streifenschildes. Nun endlich kam die bereits von uns erwartete Frage nach dem Führerschein des Fahrers. Holger hatte ihn natürlich nicht dabei, aber ich den meinen. 

Was nun passierte, ist eigentlich reif für die „Versteckte Kamera“: Meine Führerscheindaten wurden notiert. Allerdings durfte Holger dafür unterschreiben und, nachdem wir brav die geforderten Euronen hinübergereicht hatten, sich auch wieder hinters Steuer setzen. Fahren ohne Führerschein- in Deutschland undenkbar! Mit Trillerpfeife wurde der laufende Verkehr für uns gestoppt. Wir reihten uns ein und fuhren mit zwei großen Fragezeichen über unseren beiden Köpfen zum nächsten Baumarkt, um uns folgsam für 29.95 Euro ein rot-weiß gestreiftes Warnsignal für unser Wohnmobilheck zu kaufen. Das war insgesamt ein doch sehr teurer Weihnachtseinkauf! 

Unsere Silvestergeschichte ist schnell erzählt: Wir beide waren wirklich ganz allein in der Marina! Kein anderer Segler, kein Fischer, kein Hafenangestellter – einfach NIEMAND war hier. 

Kein Feuerwerk, kein Tanz! Dunkelheit und absolute Ruhe! Stillstand! 

Und noch vor 0.00Uhr lagen wir im Bett. Prosit Neujahr!

Am 7.Januar machten wir uns wieder einmal auf eine Einkaufstour zur anderen Seite der Insel. Auf der Rückfahrt gab unser Wohnmobil plötzlich ein sehr seltsames Geräusch von sich. Nach dem Anhalten stellte Holger fest: Kühlwasserverlust und abgefallener Kühlerventilator. Ungut! Glücklicherweise standen wir auf!dem Berg und konnten ihn bis zur nächsten Werkstatt ohne Motor hinunterrollen. Dort angekommen, stellten wir fest, dass es Freitag nach 16.00 Uhr war. 

Um diese Zeit arbeitet hier auf der Insel keine Autowerkstatt mehr! Viele spanische Geschäfte machen ja eigentlich nach der langen Siesta um 16.00 Uhr erst wieder auf. In Autowerkstätten ticken da wiederum andere Uhren. 

Wir konnten somit nicht mehr ausrichten als uns ein Taxi zu rufen, das uns samt unserer zahlreichen Einkäufe zurück zum Schiff brachte. 

Am darauffolgenden Montag ging es natürlich sehr zeitig per Bus wieder zur Werkstatt.

Mein Alptraum der vorangegangenen Nacht bestätigte sich glücklicherweise nicht: Unser geliebtes Womo stand noch vor der Tür des Autoschraubers und ist nicht abgeschleppt worden.

Holger wurde sogar erlaubt, den Kühler und den Ventilator selber in der Werkstatt auszubauen. Anschließend sollte das kaputte Teil nach Teneriffa zur Reparatur reisen.

Zwei Wochen lang hörten wir nichts von der Werkstatt. Schweigen! Doch dann erreichte uns von einem uns gänzlich unbekannten Menschen die Nachricht, dass der Kühler nicht mehr zu reparieren sei und von Teneriffa auch nicht zurückgeschickt würde. Wir könnten aber für nur! 800,00 Euro einen neuen bekommen. Das ging nun alles doch zu weit! Mit geborgtem PKW machten wir uns augenblicklich auf den Weg, um uns in der Werkstatt selbst ein Bild von unserem Fahrzeug zu machen. War unser Eigentum überhaupt noch dort? Ja, das Womo schon, aber den Ansprechpartner von vor zwei Wochen gab es nicht mehr. 

Am 24. Januar bestellte Holger für 260,00 Euro einen neuen Kühler in Deutschland. Seitdem: Stillstand! Wir warten nunmehr bereits vier Wochen auf dessen Ankunft. Wahrscheinlich hat sich das ersehnte Ersatzteil entschlossen, auf eine Pilgerreise quer durch Spanien zu gehen. Es wäre doch mal interessant, wenn wir am Ende auf der Verpackung ganz viele Stempel seiner Zwischenstationen fänden. Wieder einmal lernen wir eine neue Lektion „Wie ich mich in Geduld übe!“ Täglich blickt Holger sehnsuchtsvoll dem gelben Postauto entgegen, wenn es in Richtung Hafenbüro vorfährt, bisher leider ohne Erfolg. 

Aplysia liegt ja nun schon sehr lange ziemlich ruhig in der Marina herum, aber letzte Woche haben wir sie zum äußersten Stillstand gebracht. Um ihren Unterwasserbereich wieder schick zu bekommen, wurde sie für zwei Tage an Land gestellt. Wie die fleißigen Bienchen waren wir währenddessen damit beschäftigt, das Antifouling zu streichen und den Rumpf zu polieren. Aufgebrezelt ging es dann pünktlich zurück in ihr flüssiges Element. Wieder etwas geschafft!

Seitdem hat Holger beide Masten bestiegen und sie vom rostigen Dreck befreit. Er hat sämtliche Winschen auseinandergebaut, um sie von der Asche zu erlösen und neu einzufetten. Unser Dingi ist nun ebenfalls schmutzbefreit und hat eine schöne neue Tasche bekommen. Und trotzdem sind wir noch täglich mit weiteren Schwarzpartikeln an Deck beschäftigt. Dieses Ärgernis wird uns wohl noch lange erhalten bleiben und keine Langeweile aufkommen lassen.

In den letzten Tagen erreichten uns zahlreiche Nachrichten aus Deutschland über die dortigen Sturmschäden. Auch Omikron treibt weiterhin sein böses, nicht enden wollendes Spiel. Heute nun wurde vom beginnenden Krieg zwischen Russland und der Ukraine berichtet. 

Dankbar blicke ich nach draußen und erfreue mich am sonnigen Stillstand vor Ort!