Hafentage

Der September neigt sich seinem Ende entgegen. Hinter uns liegt ein recht ruhiger Monat im Hafen von Tazacorte. Wir haben hier viel geschwitzt und uns so manche Nacht unruhig im Bett hin- und hergewälzt. Nicht nur die nächtlichen Temperaturen von mehr als 20 Grad sind daran schuld, sondern auch so manch andere Unsicherheit bringt uns regelmäßig um den geruhsamen Schlaf.

Aplysia muss zur Reparatur an Land und wir benötigen mehrere Anläufe, um einen Krantermin und passende freie Böcke für unser Segelboot zu bekommen. Nun steht fest, dass wir am 3. Oktober aus dem Wasser gehoben werden. Allerdings herrscht auch auf La Palma Fachkräftemangel. So gibt es wohl nur drei Personen diesseits der Insel, die sich mit Bootsreparaturen auskennen. Person 1 hat aber noch zwei weitere Jobs und dadurch sehr wenig Zeit. Person 2 hat wohl angeblich keine Lust mehr zu arbeiten und vermietet stattdessen lieber Boote. Person 3 gehört zu einem Unternehmen, das bereits den Motor eines unserer Segelnachbarn in Einzelteile zerlegt hat und irgendwie nicht wieder zusammenbauen kann. Demzufolge wirkt er wenig vertrauenswürdig auf uns. Es ist also noch völlig offen, wie lange wir für den Wechsel unserer Wellenabdichtung benötigen werden. Vielleicht wird es auch wieder mal ein DO-IT-YOURSELF- Projekt für Holger?!

Mehr als beunruhigend empfinden wir natürlich auch die Entwicklung in Deutschland. Täglich schaue ich mir die Berichte des „Nordmagazins“ über Mecklenburg-Vorpommern und die wachsenden Sorgen der Menschen vor Ort an. Von außen betrachtet, wirkt es so, als ob ein ganzes Land gegen die Wand gefahren wird. Schweizer Bootsnachbarn sprachen uns Deutschen schon mal ihr tiefes Mitleid dafür aus, dass wir in Europa für alles bezahlen müssten. Ein französisches Pärchen meinte, dass die Deutschen viel zu brav sind. In Frankreich würden die Menschen schneller und in Einigkeit protestierend auf die Straße gehen. Das sind ganz interessante Blicke von außen auf unser schönes Heimatland!

Nach einem Jahr in der Ferne freuen wir uns aber vor allem auf ein Wiedersehen mit der Familie und den Freunden! Nichts und niemand kann uns das vermiesen. Hoffentlich!

Der Monat September bringt uns hier insbesondere einige Begegnungen mit neuen und auch alten Bekannten.

Wir lernen Toni und Luise kennen, die auch schon in Kanada gelebt haben. Ihre Wohnung in Puerto Naos dürfen sie wegen der dortigen CO2-Vergasung immer noch nicht betreten. Zur Erinnerung: Der Ausbruch des „Tajogaite“, so der offizielle Name des jüngsten Vulkans, ereignete sich vor einem Jahr am 19. September 2021.

Thomas und Frauke liegen mit ihrer „Walkabout“ auf der anderen Inselseite im Hafen von Santa Cruz de La Palma. 2018 haben wir die beiden auf El Hierro kennengelernt. Seitdem haben wir uns nie so ganz aus den Augen verloren. Und so überraschen wir sie am 15. September, um uns viel von ihrer aufregenden Zeit in den USA erzählen zu lassen. Fasziniert lauschen wir ihren extrem anstrengenden Wandererlebnissen und den Berichten vom Ankern vor New York. Die trauen sich wirklich was!

Wir verabreden uns dann auch gleich zum gemeinsamen „Partymachen“ in Tazacorte. Dort wird nämlich den kompletten September über mit täglich wechselnden Veranstaltungen dem „Erzengel Michael“ gehuldigt. Die „80-er Jahre Party“ hört sich nach Musik an, die auch wir gut kennen müssten. Denken wir! Es kommt mal wieder ganz anders . Die Band spielt sich durch spanische Klänge, die sich von Lied zu Lied kaum unterscheiden. Selbst die wenigen anwesenden Einheimischen verfallen nicht in ihr übliches ansteckendes Popowackeln.

Wir treffen Amelia, eine junge Palmera, die auch gut deutsch spricht. Sie erklärt uns, dass Tazacorte streikt. Die Leute, wir übrigens auch, wollten eigentlich „La Cubana“- das Kubafest feiern. Die Gemeinde hat anders entschieden. Somit ist kaum jemand zum 80-er-Jahre-Tanz gekommen. Selbst von den sechs Kiosken für Essen und Getränke sind nur zwei geöffnet. Wir haben dann leider! auch schnell genug von dieser Veranstaltung. Eine nette Unterhaltung mit Frauke und Thomas an Bord unserer Aplysia ist uns lieber.

Nur wenige Tage später melden Kirsten und Andy ihren Besuch bei uns an. Sie haben den Sommer bei ihrer Familie in Deutschland verbracht und sind erst seit kurzem wieder in ihrem Haus auf La Palma. Bei einem leckeren gemeinsamen Mittagessen im „Varadero“, unserer Lieblingsfischgaststätte im Hafen, gehen uns die Gesprächsthemen nicht aus. 

Vorgestern lernen wir dann noch Monika und Wolfgang aus Bad Homburg kennen, die erstmalig mit ihrer Segelyacht vor wenigen Tagen in den Hafen von Tazacorte gekommen sind.

Nicht nur ihnen gefällt es hier auf Anhieb. Tazacorte ist in nur wenigen Jahren von einem Geheimtipp zum Hotspot geworden. Kaum ein Liegeplatz ist mittlerweile ungenutzt. Bei unserer Ankunft 2018 sah das noch deutlich anders aus.

Die „Fiestas de San Miguel“ haben uns neben der bereits erwähnten „80-er Jahre Party“ auch schöne Abende in Tazacorte beschert. Zur Eröffnung der Feierlichkeiten gibt es ein Feuerwerk über dem bunt angestrahlten Rathaus des kleinen Ortes. Wie ein Adventskalender öffnen sich nach und nach die kleinen Türen und Fenster des Gebäudes und die Festverantwortlichen halten ihre Reden. Die noch amtierende Schönheitskönigin und die sieben Kandidatinnen für die Wahl zur diesjährigen Schönsten des Festes stellen sich vor. Mit lauter Musik und viel Applaus wird Tazacorte auf die bevorstehenden Tage eingestimmt.

Weiterhin erleben wir ein Folklorekonzert vor der Dorfkirche. Die Gruppe „BUENAVA“ begeistert uns mit tollen Instrumenten und eindringlichem Gesang. Sie singen viel von Natur- und Heimatliebe, glaube ich.

Und dann ist da noch das Rockkonzert von „Ojala Mucha“, einer palmerischen Gruppe, zu erwähnen. Wir erfahren, dass die Band schon zahlreiche CDs veröffentlicht hat. Qualitativ hochwertig und abwechslungsreich ziehen sie dann auch uns in ihren Bann. Wir stampfen mit unseren Füßen vom ersten bis zum letzten Lied zu ihrer kraftvollen Rockmusik. Am Ende verlassen wir ziemlich durstig den überschaubar gefüllten Platz der Veranstaltung. Wie so oft bei Konzerten auf La Palma gibt es auch dieses Mal wieder nix zu trinken. Normalerweise hätten wir uns übers Internet eine Anmeldung ausdrucken müssen, um überhaupt reingelassen zu werden. Zufälligerweise haben wir aber Maria und Roland, zwei Segelnachbarn, mit einem solchen Zettel am Einlass getroffen. Sie dürfen uns mit hineinnehmen. Ob das wohl zwei Gründe dafür sein könnten, warum auch diese, wirklich gute, Veranstaltung so mies besucht ist? Wir wissen es nicht.

Heute abend geht es nun zu den „Caballo Fufos“. Das ist die Parade der verrückten Pferde. Wir kennen die schon und freuen uns sehr auf dieses eigenwillige Spektakel mit Pferden aus Pappe. Normalerweise zieht dieses Event Menschenmassen an. Die Durchfahrtsstraße bleibt über mehrere Stunden gesperrt und Alt und Jung versammelt sich ausgelassen. Ob es in diesem Jahr wieder so wird?

Auch in diesem Monat haben wir wöchentliche Einkaufstouren zu den Supermärkten, vorzugsweise auf der anderen Seite der Insel, mit unserem Wohnmobil gemacht. Um rasch in den Osten zu gelangen, nutzt man hier eigentlich den Tunnel. In ihm darf man mal so richtig Gas geben, denn nirgendwo sonst auf La Palma sind 90 km/h erlaubt. Das bringt unseren LT an seine Leistungsgrenze.

Mittlerweile kann man auch die bislang wegen des Vulkans gesperrte Nebenstrecke über den Gebirgskamm wieder befahren.Somit entscheiden wir uns für diese Herausforderung der ganz anderen Art, um zum „Mercadona“ zu gelangen.

Zuerst geht es steil und kurvig bergan bis oberhalb des „Tajogaite“( Zur Erinnerung: Name des jüngsten Vulkans). Rechts und links der Strecke liegen schwarze Aschehügel wie hohe Schneewehen herum und erinnern an das schmutzige Ereignis von vor einem Jahr. Der Wind weht uns kleine Partikel durch die offenen Autofenster und unsere Augen beginnen zu brennen. Je höher man kommt, um so mehr Asche wird von bereits herabgefallenen Piniennadeln überdeckt. Verbotsschilder warnen vorm Verlassen der Straße.

Wir haben davon gelesen, dass hier oberhalb des Vulkankegels ein früherer Forstweg als eine weitere Nord-Süd-Anbindung für den Autoverkehr präpariert wurde. Wir sehen allerdings nichts davon.

Außerdem interessiert uns die alte Straße über den Ausflugsplatz „El Pilar“ hinab nach Santa Cruz. Auf dem Weg hinab in die Hauptstadt werden wir plötzlich vor Straßenbauarbeiten gewarnt. Und tatsächlich versperren uns hinter einer Kurve rote Kegel eine der beiden Fahrspuren. Nur welche? Wir entscheiden uns für die bereits asphaltierte linke Seite. Zunächst spricht auch nichts dagegen, bis eine Walze direkt auf uns zuhält und deren Fahrer aufgeregt mit seinen Armen wedelt. Wir hören ein „NO!NO!“ und verstehen das Problem umgehend. Wir befahren frischen heißen Asphalt und zerstören die Arbeit des fleißigen Walzenfahrers. Rasch wechseln wir erschrocken die Spur. Von nun an geht es nur noch steil den Berg wieder hinab. Es dauert nicht lange und ich bemerke einen deutlichen Brandgeruch. Beim Blick in den Rückspiegel sehen wir Qualm. Die Bremsen haben irgendwie auch keine Leistung mehr. Mit heißen Reifen und glühenden Bremsbacken müssen wir zunächst unsere Fahrt am Straßenrand unterbrechen. Nach einer Weile sind sowohl unser Womo als auch wir abgekühlt und unserem Einkaufsplan steht nichts mehr im Weg.

Der Monat September vergeht also mit weiterhin sehr hohen Temperaturen. Ein eintöniges Wetter, das vor wenigen Tagen durch die Vorhersage eines Zyklons unterbrochen werden sollte. Viel Regen, Gewitter, starker Wind und hohe Wellen sind auch für den Westen von La Palma angesagt worden. Die Menschen hinter der Strandpromenade von Puerto Tazacorte haben sich vorbereitet und die Eingänge ihrer Häuser mit Brettern geschützt. Bagger haben die „Barancos“ zum Meer hin von Steinen, Sand und Gestrüpp freigeschaufelt, damit das Wasser aus den Bergen gut abfließen kann. Die Schule fällt am 26. September auf der gesamten Insel aus. Alle Leute sollen möglichst zu Hause bleiben.

Glücklicherweise hat sich „Hermine“, so der Name des Wetterphänomens, besonnen und uns hier im Westen tatsächlich nur etwas sanften Regen und böigen Wind beschert. Im Osten von La Palma hingegen sieht es mit dreitägigem Starkregen und dadurch überfluteten Straßen, Stromausfällen und der Sperrung des Flughafens ganz anders aus. Auch auf den kanarischen Nachbarinseln richtet der Sturm deutlich mehr Schäden an.

Heute ist dieser Spuk überall vorbei und erneut knallt die Sonne von einem leicht bedeckten Himmel bei 34 Grad. Kein Lüftchen bewegt die Fahnen an den zahlreichen Masten im Hafen von Tazacorte. Alles döst vor sich hin in Erwartung der kühleren Abendstunden.

Hafentage!